·
Nach dem Gesetzeswortlaut wird die grundsätzlich bestehende Bindung des Verletzungsrichters an die Markeneintragung durchbrochen, weil diesem so die Möglichkeit eröffnet ist, ein durch die Eintragung in das Markenregister einmal gewährtes Formalrecht existenziell zu entkräften. Dies allerdings birgt die Gefahr der Durchbrechung der traditionellen Aufgabenverteilung zwischen dem DPMA und den Verletzungsgerichten, nach der nur das DPMA über die Frage des Vorliegens absoluter Schutzhindernisse, sei es im Rahmen des Eintragungsverfahrens oder des Löschungsverfahrens zu entscheiden hat.
·
Die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 MarkenG ist aber im Wege teleologischer
Reduktion einschränkend dahin auszulegen, daß im Verletzungsprozeß
das Vorliegen eines absoluten Schutzhindernisses der prioritätsälteren
Marke nicht zur Überprüfung gestellt werden kann, wenn dies noch im Löschungsverfahren
vor dem Deutschen Patent- und Markenamt durch einen
Löschungsantrag und ein Löschungsverfahren nach §§ 50, 54 MarkenG erfolgen
kann (vgl.
BGH, Urteil vom 28. August 2003 - I ZR 257/00 - 'kinder' abgedruckt in: WRP 2003, 1431
).
Dadurch wird eine doppelte Inanspruchnahme des Deutschen Patent- und Markenamts
und des Bundespatentgerichts einerseits und der ordentlichen Gerichte
andererseits zur Überprüfung der Löschungstatbestände gemäß § 50
Abs. 1 Nr. 3, § 51 Abs. 4 Nr. 2 MarkenG vermieden. Zudem werden die Aufstellung
unterschiedlicher Maßstäbe bei der Beurteilung der absoluten Schutzhindernisse
durch die Eintragungsinstanzen und die Verletzungsgerichte und
die Gefahr widersprechender Entscheidungen zu den tatsächlichen und rechtlichen
Anforderungen nach § 8 MarkenG bei derselben Marke ausgeschlossen.
Eine gegenteilige, ausschließlich am Wortlaut des Gesetzes ausgerichtete
Auslegung des § 22 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 MarkenG würde die Rechtsdurchsetzung
der älteren Marke zudem über Gebühr dadurch erschweren, daß in
jedem Markenverletzungsverfahren bei entsprechendem Vortrag des Inhabers
einer prioritätsjüngeren Marke das Vorliegen der Eintragungsvoraussetzungen
der Klagemarke erneut geprüft werden müßte.
Die Bestimmung des § 22 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 MarkenG ist danach auf
Fälle beschränkt, in denen die Löschungsreife der prioritätsälteren Marke im
Löschungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt nach § 54
MarkenG nicht (mehr) geltend gemacht werden kann. Dies kommt einmal in
Betracht, wenn die Zehnjahresfrist des § 50 Abs. 2 Satz 2 MarkenG für die Antragstellung abgelaufen ist. Der Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2
MarkenG ist weiterhin eröffnet, wenn am Tag der Veröffentlichung der prioritätsjüngeren
Marke das absolute Schutzhindernis des § 50 Abs. 1 MarkenG
nach wie vor bestand, nachfolgend jedoch entfallen ist und deshalb ein Löschungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt erfolglos bleiben
muß (§ 50 Abs. 2 Satz 1, § 54 MarkenG). Zur Darlegung dieses inter partes
wirkenden Einwandes gehört nicht nur ein substantiierter Vortrag zur Fortdauer
des von Anfang an bestehenden Schutzhindernisses bis zum Zeitpunkt der
Veröffentlichung der Eintragung der Marke mit jüngerem Zeitrang, sondern
auch der substantiierte Hinweis auf solche später eingetretenen Umstände, derentwegen
ein Wegfall des behaupteten Schutzhindernisses möglich erscheint
und deshalb ein
Löschungsantrag keine Aussicht auf Erfolg verspricht. Nur in einem solchen Fall
darf der Inhaber der jüngeren Marke von der Einleitung des vorrangigen patentamtlichen
Löschungsverfahrens absehen, um sich im Verhältnis zum Inhaber
der prioritätsälteren Marke auf sein eingetragenes Zeichen als Zwischenrecht
berufen zu können. Die Beklagte, die selbst das Löschungsverfahren betreibt,
hat dahingehend nicht vorgetragen. Ein effektiver Rechtsschutz des Inhabers
der jüngeren Marke gegen ein nur formal bestehendes älteres Recht wird dadurch
nicht beeinträchtigt. Soweit der Inhaber der jüngeren Marke nicht ohnehin
- im vorstehend ausgeführten Rahmen - die Möglichkeit hat, die Löschungsreife
der älteren Klagemarke nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 MarkenG im Verletzungsverfahren
geltend zu machen, kann er neben dem Löschungsantrag beim Deutschen
Patent- und Markenamt zugleich die Aussetzung des Verletzungsverfahrens
nach § 148 ZPO anregen. Je nachdem, wie das Verletzungsgericht die
Erfolgsaussichten des patentamtlichen Löschungsverfahrens und die mit der
Aussetzung verbundene Prozeßverzögerung beurteilt, kann die Aussetzung des
Verletzungsverfahrens geboten sein (vgl. BGH, Urteil vom 03. November 1999 - I ZR 136/97 - 'MAG-LITE' abgedruckt in: WRP 2000, 631 ). Diese
Verfahrensweise - Löschungsverfahren und Aussetzungsmöglichkeit des Verletzungsverfahrens
bei durchgehender Löschungsreife - stellt wegen des weiterreichenden patentamtlichen Verfahrens mit der Folge der Löschung der Eintragung
der älteren Marke gegenüber der nur zwischen den Prozeßbeteiligten
wirkenden einredeweisen Geltendmachung der Löschungsreife im Verletzungsprozeß
keine durchgreifende Einschränkung der Rechtsverteidigung für den
Inhaber der jüngeren Marke dar (vgl.
BGH, Urteil vom 28. August 2003 - I ZR 257/00 - 'kinder' abgedruckt in: WRP 2003, 1431
).
·
Die Vorinstanz
OLG Köln, Urteil vom 20. Oktober 2000, Az.:6 U 51/00 - 'Kinder Kram' vertrat die Ansicht, die Einrede der Entstehung eines Zwischenrechtes wegen Vorliegens absoluter Schutzhindernisse käme nur dann in Betracht, wenn am Tage der Veröffentlichung der Eintragung der jüngeren Marke die anfänglich vorhandenen Eintragungsvoraussetzungen für die Angriffsmarke wieder weggefallen wären. Die Vorschrift eröffne entgegen ihrem Wortlaut nicht die Möglichkeit, im Verletzungsverfahren zu überprüfen, ob im Zeitpunkt der Eintragung der prioritätsälteren Marke die Eintragungsvoraussetzungen vorlagen.
·
Die vom OLG Köln und BGH vorgenommene Auslegung des MarkenG § 22 Abs. 1 Nr. 2 2.Alt. geht jedenfalls in der geäusserten Allgemeinheit zu weit, denn zumindest in der Fallgruppe der bösgläubigen Markenanmeldung kann auch das Verletzungsgericht die Löschung einer Marke anordnen (vgl.
BGH, Urteil vom 10. August 2000 - I ZR 283/97 - 'EQUI 2000' abgedruckt in: GRUR 2000,1032 = WRP 2000, 129
).